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Das Statement

Schön war die Zeit

Es ist dreizehn Uhr. Die Schulklingel läutet. Wir schnallen unsere Schulranzen auf und rennen zum Bus. Der Fahrer soll verdammt nochmal Gas geben. Wir wollen keine Zeit verlieren. Endhaltestelle. Ausstieg. „Um zwei Uhr auf'm Platz“, ruft es aus jeder Ecke, ehe wir verstreut in alle Richtungen nach Hause laufen. „Wie war die Schule, mein Sohn und habt ihr Hausaufgaben?“, fragt Mutter. „Schule war klasse wie immer. Habe keine Hausaufgaben, aber großen Hunger“, antworte ich vielleicht nicht ganz wahrheitsgemäß. Das Essen schmeckt. Ich schlinge es in mich hinein. Danach ziehe ich meine Fußballschuhe an, schnappe mir den Ball und greife noch zum Anderthalb-Liter-Eistee. Jetzt renne ich zum Bolzplatz.


Zeitgleich treffen meine Freunde ein. Wir bolzen erstmal fleißig aufs Tor. Vor jedem Schuss sagen wir uns, es sei ein Freistoß in der 90. Minute im WM-Finale beim Stand von 0:0. Geht er rein, bin ich der Held. Schieße ich daneben, ist der neue Versager geboren. Ich stehe im Mittelpunkt. Das ganze Stadion und Millionen von TV-Zuschauern, ja die ganze Welt schaut mir zu. Ich laufe an. Und haue das Ding in den Giebel. Ich lasse mich feiern. Der Jubel kennt keine Grenzen. Für einen Moment bin ich es wahrhaftig. Der Superstar, dem die Welt zu Füßen liegt. Ich wiederhole dieses Szenario immer und immer wieder. Ich scheitere auch. Doch dann wird der Freistoß wiederholt, weil der Gegner zu früh aus der nicht vorhandenen Mauer gelaufen ist. 

Zweieinhalb Stunden sind vergangen. Ich nehme einen ersten großen Schluck aus dem Eistee. Doch für eine längere Pause ist keine Zeit. Wir wollen jetzt Weltmeister spielen. Heute bin ich Deutschland. Es läuft gut. Die ersten zwei Spiele gewinne ich problemlos. Dann schwächele ich ein wenig, verliere das nächste Spiel. Doch im entscheidenden Match mache ich den Weltmeistertitel klar. Das Schöne auf dem Bolzplatz ist, dass es keine vier Jahre, sondern nur vier Minuten bis zum nächsten Turnier dauert. Und schon wird wieder angepfiffen. Unsere Luft scheint ebenso grenzenlos, wie der Spaß am Spiel. Natürlich streiten wir über Situationen, fragwürdige Entscheidungen. Und manchmal fallen auch böse Worte oder es fliegen Getränke durch die Luft. Doch nach kurzer Zeit ist wieder alles geklärt. Auf dem Bolzplatz sind eben Emotionen dabei. 

Es wird allmählich dunkel, was uns nicht weiter interessiert. Ohne Flutlicht spielen wir einfach weiter. Als gäbe es keinen Morgen mehr. Aber dann müssen wir doch irgendwann aufhören. Denn wir haben ja noch Fußballtraining. Dort wollen wir zeigen, was wir gelernt haben. Diesen einen Trick, der uns nach dem hundertundzwölften Versuch endlich geglückt ist. Als wir nach dem Training nach Hause kommen, essen wir noch schnell etwas und fallen todmüde ins Bett. 

Wir waren #Bolzplatzkinder. Mit abgenutzten Fußballschuhen, dreckigen Hosen und jeder Menge Fantasie. Bolzplatzkinder mit Emotion, Leidenschaft und unbändigem Willen. Wir waren jung und brauchten kein Geld, um Spaß zu haben. Bolzplatzkinder sind frei. Und wir sind es heute noch.

Die Rückkehr

Als ich neulich kurz vor Sonnenuntergang am Bolzplatz meines alten Heimatdorfes vorbeifuhr, musste ich anhalten. Ich stieg aus dem Auto, betrat den Platz. Und bekam Gänsehaut. Bilder der Vergangenheit. Der Sommerduft leicht feucht gewordenen Rasens. Die letzten Vögel zwitscherten noch ein Gutenachtlied. Wie klein der Platz geworden war. Und doch hatte er in den Jahren an immer größerer Bedeutung gewonnen. Hier lief ich damals also, Tag für Tag. Rauf und runter. Plötzlich wurde ich leichter, die Erinnerung an Freiheit beflügelte mich. Wie viele Stunden habe ich hier verbracht, mit Freunden oder allein. Wie viel Alltagsschmerz konnte ich hier vergessen. So viele Fragen hatte ich damals, die mir niemand, außer der Bolzplatz beantworten konnte. Ich bin so dankbar, dass er damals für mich da war. Ich habe einen Kloß im Hals und mir laufen ein paar Tränen das Gesicht hinunter. Einfach, weil es so schön ist.